Anzahl psychischer Erkrankungen in Deutschland (Prävalenz)

 

Wenn sich jemand ein Bein verletzt hat, sieht man das in der Regel sofort. Die Person trägt vielleicht einen Verband, einen Gips oder eine Orthese. Psychische Erkrankungen und Abhängigkeiten kann man den meisten Menschen aber (erstmal) nicht ansehen. Hier kann uns die Statistik helfen, damit wir diese Personen nicht übersehen.

Aus diesem Grund habe ich eine Übersicht der häufigsten psychischen und neurologischen Erkrankungen und Abhängigkeitsstörungen erstellt (Prävalenz). Sie soll helfen, ein Bewusstsein für die Anzahl möglicher Störungsbilder zu entwickeln und so auch der Entstigmatisierung entsprechender Störungen dienen.

In der Kirche fragen wir immer wieder, wer die Menschen sind, die zu uns kommen und aus welchem gesellschaftlichen Milieu sie stammen. Ich bin der Meinung, es wäre ebenfalls sehr hilfreich, einmal nach der Häufigkeit von Erkrankungen zu schauen.

In Deutschland sind jedes Jahr fast ein Drittel (etwa 27,8 %) der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen. Das entspricht rund 17,8 Millionen betroffene Personen.
Zu den häufigsten Erkrankungen zählen Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen  und Störungen durch (missbräuchlichen) Alkohol- oder Medikamentenkonsum.

Menschen mit psychischen Erkrankungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung.

Als Prozentzahlen aufgeschrieben, erscheint die Anzahl der Betroffenen nicht sehr hoch. Werden die Prozente allerdings auf eine Gottesdienstgemeinde von 100 Personen übertragen, dann sind 2-3 Menschen zum Beispiel mit einer Panikstörung erkrankt und fast jeder zehnte leidet an einer Form der Depression.
Die sonst jeweils eher anonyme Erkrankung und nackte Zahl bekommt nun ein Gesicht. Und vielleicht sogar auch einen konkreten Namen in Deiner Gemeinde? Vielleicht sogar Dein eigener?

Angststörungen 20% (davon bei 20% chronisch)

Depression 9%

Panikstörung 2-3%

Zwangsstörungen 2-4%

Borderline 2-6%

Posttraumatische Belastungsstörung – PTBS 3%

Alkoholmissbrauch 4% Frauen, 18% Männer

Anorexie 1%

Medikamentenmissbrauch 2%

Schizophrenie 1-2%

Alzheimer 2-3% (bis 74 Jahre), 6% (75-79 Jahre), 34% (über 90 Jahre)

Migräne 13% Frauen, 7% Männer

 

Die hohe Prävalenz psychischer Erkrankungen und Abhängigkeiten hat tiefgreifende Konsequenzen für die digitale Seelsorge. Angesichts der Tatsache, dass fast ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung jährlich von einer psychischen Erkrankung betroffen ist, wird deutlich, dass Seelsorgende für diese Themen sensibilisiert und geschult sein müssen. Sie sollten in der Lage sein, auch im digitalen Raum subtile Anzeichen für Belastungen zu erkennen, da diese hier oft weniger offensichtlich sind als im persönlichen Kontakt. Ein wesentlicher Schwerpunkt sollte darauf liegen, Fragen zu stellen, die Menschen einladen, über ihre seelischen Herausforderungen zu sprechen – etwa durch die Einbeziehung von Emotionen, Körperempfindungen oder konkreten Lebenssituationen.

Ein weiteres wichtiges Feld ist die Kooperation mit Fachleuten wie Psycholog:innen, Psychiater:innen und Suchtberatungsstellen. Die digitale Seelsorge kann nicht allein alle Bedürfnisse abdecken, sondern sollte eine Brücke zu spezialisierter Hilfe schlagen, wenn dies notwendig ist. Dabei spielt auch die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen eine zentrale Rolle. Die Kirche hat hier die Möglichkeit, durch gezielte Inhalte in sozialen Medien, Blogs oder Videos aufzuklären und Vorurteile abzubauen.

Digitale Seelsorgeangebote sollten darüber hinaus stärker auf die spezifischen Bedürfnisse von Betroffenen zugeschnitten werden. Thematische Räume, die sich gezielt mit Depressionen, Angststörungen oder Suchterkrankungen beschäftigen, könnten hilfreiche Impulse geben. Niedrigschwellige Angebote wie anonyme Chats oder Foren, die von geschulten Seelsorgenden oder Peer-Berater:innen moderiert werden, könnten eine wichtige Unterstützung sein. Ebenso können Statistiken wie die genannten als Grundlage dienen, um Gottesdienste, Gruppenarbeit oder digitale Angebote gezielt zu gestalten. Zum Beispiel könnten Andachten oder Gesprächskreise für Menschen mit spezifischen Belastungen geschaffen werden, die online oder hybrid zugänglich sind.

Ein weiterer Aspekt ist der Schutz der Vertraulichkeit. Digitale Seelsorge muss besonders hohen Datenschutzstandards entsprechen, um das Vertrauen der Ratsuchenden nicht zu gefährden. Plattformen, die genutzt werden, müssen sichere Kommunikation gewährleisten, besonders bei sensiblen Themen wie psychischen Erkrankungen. Gleichzeitig sollte die digitale Seelsorge darauf ausgerichtet sein, Menschen auch langfristig zu begleiten. Viele psychische Erkrankungen sind chronisch, und regelmäßige Kontakte, digitale Rituale oder spirituelle Impulse können Betroffenen helfen, sich auf ihrem Weg unterstützt zu fühlen.

Nicht zuletzt sollte digitale Seelsorge die Selbstwahrnehmung der Ratsuchenden stärken. Fragen, die darauf abzielen, den Kontakt zur eigenen Körperlichkeit und Gefühlswelt zu fördern, können im digitalen Raum wertvolle Ressourcen schaffen. So kann digitale Seelsorge nicht nur eine Brücke zu anderen Menschen sein, sondern auch zu sich selbst. All dies zeigt, wie groß die Chancen sind, die sich für eine empathische und professionelle digitale Seelsorge bieten – wenn sie die Bedürfnisse der Menschen ernst nimmt und gleichzeitig verantwortungsvoll mit den Herausforderungen umgeht.

 

P.S.: Natürlich gibt es Unterschiede in der Ausprägung und Stärke der jeweiligen Erkrankung, sowie zwischen Frauen und Männern. Diese habe ich aber hier nicht immer aufgeführt.

Quellen u.a.:
https://www.dgppn.de/
https://www.rki.de
https://de.statista.com
https://www.aerzteblatt.de